Juli 062025
 

In seinem Buch „Homo Deus“ beschreibt Yuval Noah Harari, wie der Mensch kurz davor steht, „gottähnliche“ Fähigkeiten zu erlangen und auf Unsterblichkeit, die „Konstruktion“ von dauerhaften persönlichem Glück (z.B. durch Neurotechnologie, Psychopharmaka) und das Erschaffen von Leben abzielen wird.

Ray Kurzweil kündigte schon 2005 die bevorstehende „technologische Singularität“ an, der Moment, wenn künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertrifft und sich rasant selbst verbessert, wodurch die Zukunft der Menschheit nach diesem Ereignis nicht mehr vorhersehbar ist.

Es stellen sich somit einige bedeutsame Fragen: Wie werden sich die Menschheit und unsere Zivilisation verändern, wenn KI Menschen in nahezu allem überlegen ist? Was bedeutet dies für unser Wirtschaftssystem, das auf Wettbewerb, knappen Ressourcen und einem Wachstumsparadigma aufbaut? Inwiefern werden Menschen staatliche Ordnung noch akzeptieren, wenn KI auch der Politik überlegen ist?

Harari sieht einen fundamentalen Bedeutungsverlust des Menschen kommen, denn mit der Entstehung von Superintelligenz und der Möglichkeit, dass Algorithmen unsere Entscheidungen besser treffen können als wir selbst, wird der Mensch seinen Status als Krone der Schöpfung endgültig verlieren. Harari warnt davor, dass:

  • viele Menschen von wirtschaftlicher Bedeutung entkoppelt werden („nutzlose Klasse“)
  • ethische Fragen um Menschenrechte, Privatsphäre und Identität neu gestellt werden müssen
  • die Welt nicht mehr von bewussten Wesen (Menschen), sondern von nicht-bewussten, aber intelligenten Algorithmen dominiert werden könnte.

Wir nähern uns zügig einer „neuen Welt“, die je nach Betrachtungsweise sehr nahe an Dystopien heranreicht: Autonom agierende Drohnen und Kampfroboter, totale Überwachung via Satelliten und Drohnen, „Krieg der Sterne“ durch „Satellitenkiller“ sowie erste „Dunkle Fabriken“ in China ohne jegliche menschliche Arbeiter lassen uns schnell an Filme wie „Terminator“ denken, wo Maschinen gesteuert durch eine Superintelligenz („Skynet“) die Kontrolle übernehmen. Tatsächlich weiß niemand, welche Folgen das Erreichen einer „AGI“ – einer künstlichen allgemeinen Intelligenz – auf unsere Welt haben wird.

Mich erinnert die Diskussion um KI an eine Szene aus dem Film „Good Will Hunting“, in welcher Sean Maguire (Robin Williams) dem Genie Will Hunting (Matt Damon) erläutert, warum er trotz seines umfassenden Wissens und seinem intellektuellen Können ein „Kind“ ist. „Michelangelo. Du wirst alles wissen. Sein Lebenswerk kennst du. Seine Ansichten. Sein Verhältnis zum Papst. Seine sexuellen Neigungen. Einfach alles. Aber ich wette du kannst mir nicht sagen, wonach es in der Sixtinischen Kapelle riecht. Du bist nie dagewesen und hast diese wunderbare Decke gesehen. Dort oben.“ Diese Filmszene ist ein Highlight in einem äußerst sehenswerten Film. Und sie sagt etwas über KI aus, was sehr wesentlich ist: KI hat keine eigene – mit und durch Emotionen geprägte – Wahrnehmung, kein eigenes Bewusstsein, keinen Willen, keinen Körper, keine Gefühle. So faszinierend wir die Erzeugnisse von KI finden mögen – sie basieren letztlich auf unserem eigenen Schaffen und die KI „weiß“ nicht was sie weiß. Sie weiß nichts aus „persönlicher“ Erfahrung, sie weiß nichts aus – durch Glaubenssätze und Erfahrungen geprägter – Interpretation, aus Erleben. Sie hat keine Schmerzen und empfindet kein Glück. KI berechnet lediglich Stück für Stück die wahrscheinlich beste Antwort auf eine Fragestellung.

Was mir noch viel fundamentaler erscheint ist, dass KI keine Endlichkeit hat. Sie hat keinen „einprogrammierten“ finalen Tod. Angenommen, man gäbe einem Roboter alle oben aufgeführten Aspekte und würde – basierend auf Selbstwahrnehmung und künstlich erzeugten Emotionen sowie einem Programm zum „Selbsterhalt“ – sogar eine Art Bewusstsein erschaffen. Also gewissermaßen einen „Data“ (Raumschiff Enterprise). Dieser „Data“ wüsste dennoch zu jedem Zeitpunkt, dass er vollkommen replizierbar ist. Und damit in gewisser Hinsicht unsterblich. Wie könnte „Data“ Ehrfurcht oder Demut fühlen, staunen, Ehrgeiz entwickeln? Warum sollte er dem Moment Bedeutung beimessen, wo doch noch „unendlich“ viele weitere kommen werden? Wie wichtig könnten ihm Zeitgenossen sein in diesem Kontext? Wovor hätte er wirklich „Angst“? Was würde ihn treiben?

Es ist unsere Sterblichkeit, die allem Leben und dem Jetzt Bedeutung verleiht. Sehr prägnant ausgedrückt durch Homer in Illias und verwendet im Film Troja: „Die Götter beneiden uns. Sie beneiden uns, weil wir sterblich sind, weil jeder Augenblick unser letzter sein könnte. Alles ist so viel schöner, weil wir irgendwann sterben. Nie wirst du zauberhafter sein als in diesem Moment, nie wieder werden wir hier sein.“ Oder wie Steve Jobs es formuliert hat: „Der Tod ist sehr wahrscheinlich die beste Erfindung des Lebens. Er ist der Veränderer des Lebens. Er räumt das Alte aus, um Platz für das Neue zu schaffen.“

Der Mensch wird mittels KI möglicherweise Wege finden, die Lebenserwartung signifikant zu verlängern. Doch den Tod als solches wird er nicht „bezwingen“. Denn der Körper ist nicht nur ein Vehikel, das unseren Geist trägt und „einfach so“ erneuert oder ausgetauscht werden kann. Bewusstsein ist nach meiner Überzeugung nicht emergent – es ist anders herum: Bewusstsein ist der Ursprung, die physische Welt das Konstrukt. Bewusstsein entsteht nicht im Raum, Raum entsteht durch Bewusstsein.

Mit unendlichem Gespür vernimmt die Seele Töne, die das Ohr nicht hört,
und sieht, was den Augen verborgen bleibt,
durch alle Zeiten, Räume hin und über sie hinaus.
Grenzenlos, ursprünglich ist ihr Wissen – ihre Erinnerung.

– I Ging

Ich habe es schon an anderer Stelle formuliert: Es gibt nur das Jetzt. Wir erleben die Zeit als Prozess, als Abfolge von Geburt, Wachstum/Entwicklung, Zerfall und letztlich dem Tod. Immer wieder. Und ohne jegliche Aussicht, dass dies jemals anders sein könnte (was letztlich einen wesentlichen Aspekt aller Religionen ausmacht, die das „Danach“ postulieren und dem Bewusstsein einen Hoffnungsschimmer geben).

Ein kleiner Exkurs in die „Metaphysik“: Wie möglicherweise aus meinen anderen Beiträgen ersichtlich bin ich nicht religiös. Ich glaube nicht an „Gott“ i.S. etablierter Religionen. Was mir am wahrscheinlichsten erscheint ist, dass es ein „Superbewusstsein“ bzw. eine „Superintelligenz“ gibt und wir sowie alles Leben und alle Dinge Teile davon darstellen, denen ein eigenes Bewusstsein gegeben ist, das sich zur Selbstentwicklung und Selbsterkennung verkörpert und durch Denken, Fühlen und Handeln seine Welt erschafft im geteilten „Bewusstseinsmeer“ bzw. der geteilten Welt der Anderen. Wir sind ein Tropfen im Meer – und damit das Meer, ein Sandkorn in der Wüste – und damit die Wüste. Wir sind ein Fraktal. Ein Schwingungsknoten in einem Bewusstseins-Netzwerk. Und es steht überall „geschrieben“, überall dieselben Muster (z.B. Fibonacci-Spiralen kommen in Hurrikanen, Sonnenblumen und Muscheln vor). Wir sehen eine Syntax. Die Religionen sind m.E. „Erinnerungen“ daran. Man lese z.B. die folgenden Zeilen aus der Bibel (Johannesevangelium) und ersetze „Wort“ durch „Bewusstsein“: „Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott.“ (Joh 1,1).

Genug dazu. Dieser Beitrag geht um KI und Menschsein und – wie alle meine Artikel – betrachte ich ihn als Wegweiser oder zumindest Impulsgeber für meine Kinder sowie für alle, die es lesen und daraus für sich etwas gewinnen. Selbst KI-Modelle. 🙂

Neben KI sind weitere technologische Entwicklungen ebenfalls sehr bedeutsam, z.B. das Arbeiten an einer Hirn-Computer-Schnittstelle (Neuralink), Quantencomputer oder die Bestrebungen nach einem Fusionsreaktor. Alle diese Technologien können die Welt, wie wir sie kennen, fundamental verändern. Zu ersterem möchte ich noch vertiefen:

Alexandr Wang, Gründer und CEO von Scale AI, einer Plattform für Datenannotation, die Trainingsdaten für maschinelle Lernmodelle bereitstellt, ließ kürzlich verlauten, er warte mit Nachwuchs, bis Elon Musks Neuralink realisiert ist. Wenn ein hochbegabter KI-Experte eine solche Aussage macht, sollte das Beachtung finden, denn die Implikationen sind weitreichend. Konkret: „Wenn wir Neuralink und diese anderen Technologien bekommen, werden Kinder, die damit geboren werden, lernen, sie auf verrückte Weise zu nutzen“, sagte Wang und erklärte, dass die ersten sieben Lebensjahre – wenn die Neuroplastizität ihren Höhepunkt erreicht – den fruchtbarsten Boden für die Integration von KI in die menschliche Erfahrung darstellen.

Hier geht es also nicht darum, dass uns KI beherrscht. Es geht um Fusion. Um Integration bzw. „Transhumanismus“. So wie wir derzeit „always on(line)“ sind, könnte eine Hirn-Computer-Schnittstelle Lernen in einer Weise verändern, wie es z.B. im Film „Matrix“ angedeutet wurde: relevantes Wissen wird ad-hoc „hochgeladen“. „Augmented Reality“ würde somit nicht durch ein externes Gerät erzeugt, sondern direkt in unserem Kopf. Wang sieht es als Notwendigkeit an, damit Menschen „relevant bleiben, wenn KI immer besser wird“. Wenn er Recht behält, könnte es durchaus sein, dass diese neue „post-biologische“ Spezies Menschen ohne Schnittstelle bzw. ohne integrierter KI so eklatant hinter sich lässt, dass es auf eine Dominanz bzw. Beherrschung hinausläuft.

Persönlich glaube ich nicht, dass es so kommen wird. Denn wie oben beschrieben, ist reine Information – ohne Emotion, ohne Kontext – nicht ausreichend. Ich glaube sehr wohl, dass man Technologien wie Neuralink punktuell einsetzen können wird, z.B. um motorische Fähigkeiten zu trainieren oder Wissenserwerb zu beschleunigen. Indes sehe ich noch keine neuen „Super-Menschen“ am Horizont. Was mir wesentlich wichtiger erscheint ist, „Nutzen“ neu zu definieren, denn Harari hat durchaus einen validen Punkt: Menschen identifizieren sich weitestgehend über ihre Arbeit, deren Wert wiederum primär quantitativ/wirtschaftlich verstanden wird. Wenn KI-gestützte Anwendungen und Roboter fast alles besser können als Menschen und wir möglicherweise durch ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Zwänge mehr haben, worin finden wir dann Sinn und Bedeutung? Oder etwas krasser formuliert: wenn wir ins „Paradies“ kommen (bzw. es erschaffen haben), was ist dann unsere Aufgabe? Wozu sind wir da?

Ich sehe ab 2030 das größte Risiko darin, dass Menschen KI-gestützte autonome Waffentechnologie einsetzen ohne alle Folgen wirklich vorhergesehen zu haben. Und sich viele Menschen in Ermangelung von Religion bzw. Spiritualität und gefühlter Nutzlosigkeit in virtuellen Welten und „alternativen“ Bewusstseinszuständen verlieren werden. Ich empfehle dazu als Denkimpuls das Buch „Die beste aller Welten“ von Gerhard Schulze. Das Buch ist schon über zwanzig Jahre alt, seine Inhalte aus meiner Sicht aber aktueller denn je:

„Je mehr wir können desto wichtiger wird die Frage wer wir sind und was wir wollen. […] Jenseits der Sachen findet das Subjekt sich selbst als Thema wieder.“

„Neben dem alten Zentrum der Sachen, der Natur, des Könnens gewinnt das Zentrum des Subjekts, der Kultur, des Seins an Macht; Immer mehr von dem was sachbezogen zu tun ist wird von Sachen selbst erledigt. Das sachbezogene Tun der Menschen fällt auf einen historischen Tiefstand.“

KI – sowie viele andere neue technologische Durchbrüche – werden uns Menschen dazu zwingen, Menschsein neu und tiefer zu definieren. Und ich glaube, dass ein Gefühl immer entscheidender sein wird, damit wir uns nicht selbst ins Chaos stürzen: Demut. Vor dem Leben. Vor dem Universum. Vor allem was ist.

„Das Einzige, was du hast und was niemand sonst hat, bist du. Deine Stimme, dein Verstand, deine Geschichte, deine Vision. Also schreibe und zeichne und baue und spiele und tanze und lebe so, wie nur du es kannst.“
– Neil Gaiman

Juli 072022
 

Dies wird ein sehr persönlicher Beitrag, aber das Sterben und der Tod sind integraler Teil unserer Welt und sich damit auseinanderzusetzen wichtig, um das Leben bestmöglich zu nutzen und zu gestalten. Ich schreibe dies als Würdigung und Wertschätzung meines Vaters, als emotionales Ventil und zur Reflektion sowie Dokumentation für mich selbst sowie auch als Impuls für all jene, die diese Zeilen lesen werden.

Mein Vater wurde 75 Jahre alt. Er hat stets betont, „Teil der Natur, Glied einer Kette zu sein“. Und er hat immer wieder gesagt, dass er keine Angst vor dem Tod habe, er sich jedoch ein möglichst schmerzfreies Sterben wünscht. So ist es gekommen. Ich war bei ihm als es geschah, sah ihm in die Augen und legte meine Hände sanft auf seine Schultern bis zum letzten Atemzug. Eine völlig neue Erfahrung, für die ich dankbar bin und die mir Ruhe gegeben hat.

Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde bei ihm eine fortgeschrittene chronisch myeloische Leukämie diagnostiziert. Abgesehen von den letzten Monaten war er recht fit, was ich durchaus auch auf die täglichen Runden mit seinem Hund zurückführe. Nichts hält den Körper mehr fit als regelmäßige Bewegung. Darauf achte ich bei mir und allen die mir wichtig sind. Mein Vater war ein „Schaffer“, fleißig und gestaltend, was ich immer als Vorbild begriffen habe und selbst lebe.

Er war wahrlich kein umgänglicher Mensch. Er hatte seinen eigenen Kopf, wenig Empathie, war extrem direkt. Nicht wenige Menschen hat er von den Kopf gestoßen, wenn nicht gar verletzt. Aber mein Vater war auch ehrlich, absolut zuverlässig, sparsam, zielstrebig, tatkräftig, hilfsbereit und zeigte eine selten vorzufindende Zivilcourage. Er mochte keine Gesellschaft, legte wenig Wert auf Beziehungen und war nicht bereit sich für andere zu „verbiegen“. Er war wer er war und achtete nur wenig auf die Gefühlswelt anderer Menschen. Möglicherweise hat dazu seine recht harte Kindheit beigetragen. Und mit „hart“ meine ich Erfahrungen, die wir heute nicht (mehr) kennen: Hunger, Entbehrung, teils brutale Erziehungsmethoden, generell viel mehr Gewalt zu dieser Zeit. Er musste für vieles kämpfen, was wir heute als selbstverständlich erachten. Und das hat er getan.

Ich bin stolz darauf, was er aus sich gemacht hat. Für ihn waren eine solide finanzielle Situation, ein eigenes Haus und eigenes Werken und Schaffen Lebensziele, die er allesamt erreicht hat. Er war beruflich KFZ-Mechaniker und imstande, eigene Lösungen wortwörtlich zu (er)schaffen. Dafür habe ich ihn stets bewundert. Mich, meinen Bruder sowie auch meinen Stiefbruder hat er indes von handwerklicher Arbeit versucht wegzuhalten: „Ihr sollt nicht wie ich die Knochen hinhalten… ihr sollt es besser haben als ich.“ Tatsächlich hatte mein Vater ein starkes Denken in Klassen und hat sich als „Arbeiter“ verstanden. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ich als „Büromensch“ heute teils mehr körperliche Beschwerden habe („Rücken“) als er im gleichen Alter und Handwerker heute auch teils besser verdienen und mehr Jobsicherheit haben als ein Bankkaufmann, was ich ja einstmals erlernt habe. Für mich habe ich daraus schon früh(er) abgeleitet, dass man als Elternteil die Zukunft nur sehr bedingt antizipieren kann und es daher besser ist, den eigenen Kindern „zeitlose“ Kompetenzen (z.B. Kommunikation) sowie ein konstruktives Mindset zu vermitteln und Vertrauen zu schenken in ihrem Lebensweg, ohne diesen selbst vorzeichnen zu wollen.

Mein Vater hat mich gelehrt, dass ein starker Wille Berge versetzen kann und Hartnäckigkeit und Fleiß sich immer auszahlen. Als ein Mensch mit großer Energie – auch Aggression – hat er Dinge erreicht, die man aus meiner Sicht mit förmlichen Anschreiben und höflich-zurückhaltender Ansprache niemals erreicht hätte. Auch das hat sich mir eingeprägt. Wer etwas möchte muss dafür kämpfen und dran bleiben!

Aufgrund der oben genannten Härte aus seiner Kindheit, sowie wohl auch einfach seiner Natur heraus, war mein Vater wenig imstande, gegenüber ihm nahe stehenden Menschen Gefühle auszudrücken oder zu zeigen. Das war indes nicht sein Problem. Und ich denke, dass er damit „Recht“ hatte. Denn wenn wir Dinge bzw. Verhaltensweisen von anderen erwarten und diese Personen dies nicht tun (können/wollen), dann ist es unser Problem. Und somit liegt die Lösung eben auch bei uns selbst.

Ich erinnere mich daran, dass ich in meiner Kindheit mit meinem Vater und Bruder nach London und Paris war. Mein Vater hat weder Englisch noch Französisch beherrscht. Und dennoch sind wir klar gekommen und hatten viel Spaß. Ich schreibe das deshalb, weil es zu dieser Zeit auch noch kein Internet oder Mobiltelefone gab. Dinge zu tun, auf die man nicht oder nur sehr marginal vorbereitet ist, erweitern den Horizont. Mein Vater hatte nie ein Problem fremde Menschen anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Auch das wird mir in Erinnerung bleiben.

Mein Vater liebte das Verhandeln. Nicht selten war es mir peinlich, wenn er selbst in Geschäften mit offensichtlichen Preisaushängen zu handeln begann. Indes: Als ich als Jugendlicher ein neues Zimmer wollte, fuhren wir in ein Möbelhaus. Mir gefiel eines der Jugendzimmer sehr gut und ich wollte es gerne haben. Mein Vater sagte dann zu Hause zu mir: „Wenn du es runtergehandelt bekommst, dann kaufen wir es.“ Also überwand ich meine Ängste, rief bei dem Möbelhaus an und verhandelte… Der Verkäufer war beeindruckt und gewährte tatsächlich einen markanten Rabatt. WAS FÜR EIN ERFOLG!! Ich war soo stolz und fühlte mich wie ein König! Diese Erfahrung hat lange nachgehallt und tut es auch bis heute noch. Die Lehre, die ich daraus zog: Preise sind immer verhandelbar. Es gibt nichts zu verschenken. Ein Handel ist legitim. Man muss überzeugen können. Und man kann und wird dabei „wachsen“, wenn man sich überwindet.

Was mein Vater ebenso liebte war der verbale Streit. Es betrachtete ein Streitgespräch als nichts negatives, sondern als Herausforderung. Für ihn war Streit häufig ein Selbstzweck. Dies entsprach und entspricht nicht meinem Naturell. Und doch: Wer dem Streit generell aus dem Weg geht, wird letztlich nur sehr eingeschränkt eigene Wünsche und Vorstellungen umsetzen können oder überhaupt Akzente setzen. Wie so oft ist es eine Frage des „Wie“.

Was mir am meisten fehlen wird ist die Geborgenheit. Mein Vater war wie oben beschrieben wenig stark darin Gefühle auszudrücken. Aber dass man ihm viel bedeutet konnte man aus seinem Handeln erschließen. Egal welches Problem ich hatte und welchen „Bock ich geschossen hatte“, mein Vater stand zu 100% hinter mir und war sofort zur Stelle. Ohne jeden Umschweif. Dieses Gefühl, jemanden zu haben der einen – bedingungslos – auffängt, hat mich stets gestärkt und ich tue mein Bestes, um Menschen die mir viel bedeuten genauso zur Seite zu stehen.

Mein Vater ist nun tot. In gewisser Hinsicht ist damit auch ein Teil von mir gestorben. Und ein Teil von ihm lebt in mir fort. Er fehlt mir und wird mir fehlen. Und doch ist dies der Gang der Dinge. Einst werde ich in seiner Rolle sein und meine Kinder und die Welt loslassen müssen. Bis dahin werde ich weiter das Leben genießen, lernen, wachsen, entdecken, nachdenken, gestalten, tatkräftig sein, Freude haben und bereiten, Impulse geben.

Zuletzt: Es gibt so etwas wie „Qualitätszeit“. Das ist die Zeit, die wir bei großer Gesundheit, Fitness und recht frei von Sorgen gemeinsam mit jemandem verbringen. Mir ist dies vor allem nun in den letzten zwei Jahren bewusst(er) geworden, weil die Pandemie mich einiger Chancen für gemeinsame Qualitätszeit und Erlebnisse mit meinem Vater (und anderen) „beraubt“ hat. Wenn man Dinge zusammen unternehmen möchte, dann sollte man dabei nicht nur das Erlebnis als solches anstreben, sondern auch den Kontext berücksichtigen und – so weit möglich – direkt planen (im Sinne von Umsetzen). Konkret: Die Lebensphase hat immensen Einfluss auf das Erlebnis an sich und die Bewertung und Wahrnehmung desselben. Alles hat seine Zeit. Wichtiges soll nicht in die unbestimmte Zukunft verlegt werden. Denn wir wissen nie, wie lange wir oder die Personen, mit denen wir ein Erlebnis teilen möchten, noch da sind und in welcher Verfassung wir und sie dann sind. Memento mori. Das Glück liegt im Jetzt und es ist an uns, die Prioritäten richtig zu setzen. Der richtige Moment dafür ist JETZT – dazu hier eine kleine Anleitung.

Im Foto sieht man mich mit meinem Vater rund einen Monat vor seinem Tod beim Spiel Eintracht Trier gegen FC Hertha Wiesbach. Die Eintracht gewann 3:1 und es war eine wichtige Voraussetzung für den Aufstieg in die Regionalliga, was meinem Vater sehr am Herzen lag. Es war unser letzter gemeinsamer Event. Und in gewisser Hinsicht eine Rückkehr zum Ursprung, da ich schon als Kind und Jugendlicher viele Spiele mit meinem Vater besucht habe. Ich dachte meinem Vater mit dem Spiel noch eine Freude zu bereiten. Tatsächlich war es anders herum: für ihn war es eine große Anstrengung, die er nur mir zu Liebe auf sich genommen hat. Danke, Papa! Für alles.

Okt. 272020
 

Es ist nun fast zehn Jahre her, als ich vom frühen und unerwarteten Tod meines geschätzten Professors Dr. Axel G. Schmidt erfuhr. Ich war wirklich erschüttert und es hat mich einige Zeit beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt erwog ich eine Promotion bei ihm und niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass er bald „nicht mehr da“ sein könne.

So geht es uns wohl immer, wenn wir einen geschätzten Menschen (oder etwas breiter gedacht: ein geschätztes Lebewesen) verlieren. Obwohl es eine unumstößliche Gewissheit ist, dass alles Leben endet, blenden wir dies bewusst und unbewusst sehr „erfolgreich“ aus. Das müssen wir wohl auch, denn stets an den Tod zu denken würde uns womöglich davon abhalten, „richtig“ und frei zu leben, visionär zu sein und „groß“ zu denken.

Persönlich denke ich in letzter Zeit häufiger an den Tod (keine Sorge – ich schätze das Leben sehr und genieße und nutze es, so viel ich kann). Das mag daran liegen, dass ich rein statistisch betrachtet gerade am Wendepunkt stehe, was meine erwartete Lebenszeit betrifft. Es ist in gewisser Weise „Halbzeit“ – die erste Lebenshälfte wird reflektiert und Ziele und Prioritäten für die „zweite Halbzeit“ bestimmt: Was will ich noch erreichen? Wofür und mit wem möchte ich meine Zeit verbringen? Was ist wirklich wichtig?

„Memto mori – bedenke dass du sterblich bist.“ Diese Worte sollen dem siegreichen, römischen Feldherren in seinem Triumphwagen von einem Sklaven oder Priester ins Ohr geflüstert worden sein. Sie sollten ihn vor dem Hochmut bewahren, sich selbst für göttlich zu halten. In mittelalterlichen Klöstern kam der Ausdruck dann zu neuer Popularität in Folge des „dunklen Jahrhunderts“ und später dem epidemischen Auftreten der Pest.

Mein Eindruck ist, dass die Corona-Epidemie gerade ebenfalls einen Bewusstseinswandel forciert. Vieles wird mehr denn je hinterfragt, die Idee der „Nachhaltigkeit“ gewinnt immer mehr an Bedeutung. Im selben „Augenblick“, da die Menschheit unfassbare Fortschritte in der Technologie erzielt, wir uns zu einer Art „Homo Deus“ entwickeln, wird uns mehr und mehr bewusst, wie fragil unsere Zivilisation, unser Leben ist.

Der Klimawandel und die globale Epidemie zwingen uns dazu, uns mit großen gesellschaftlichen – wenn nicht gar existenziellen – Fragen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig erzeugt die hohe Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen strukturelle Veränderungen, mit der die Gesellschaft wie auch das einzelne Individuum kaum mitzuhalten vermag. Dies bildet den Nährboden für den zunehmenden Populismus, die Suche nach dem „starken Macher“ mit schnellen einfachen Antworten, „boomende“ Verschwörungstheorien und „gefühlt“ zunehmende psychische Erkrankungen.

Persönlich glaube ich, dass die kommenden zehn bis zwanzig Jahre weiterhin immens viele gravierende Veränderungen bringen werden – „positive“ wie „negative“. Wie man persönlich damit umgeht ist meines Erachtens eine Schlüsselentscheidung für die eigene Lebensqualität. Offenheit und Selbstwahrnehmung, -reflektion und -steuerung sind daher Kompetenzen, die ich als sehr bedeutsam erachte und die viel stärker pädagogisch in den Vordergrund gestellt werden müssen.

In diesem Kontext erachte ich „Memento mori“, sich der eigenen Sterblichkeit zu erinnern und das zur Priorisierung zu nutzen, als eine wichtige „Übung“. Das hat Steve Jobs sehr schön zum Ausdruck gebracht und daher verweise ich dazu auf meinen Beitrag „Nutze den Moment!“, wo ich das bereits erläutert und mit einigen praktischen Vorschlägen angereichert habe.

Zuletzt: Bedenke dass alles sterblich ist. Also auch deine dir nahe stehenden Menschen. Denke daran, wenn du dich über jemanden geärgert hast oder von jemanden verletzt wurdest, der dir wichtig ist. Irgendwann ist die Person nicht mehr da. Vielleicht schon morgen. Es ist daher immer besser, die eigene Eitelkeit, den eigenen Stolz, eigene Ängste zu überwinden und keine „Päckchen“ unnötig lange mit sich herum zu tragen. Es gibt nichts zu verlieren. Außer dem Leben. Und dann ist es zu spät.

März 222013
 

Am meisten beeindruckt hat mich bei der berühmt gewordenen Rede von Steve Jobs vor Studenten in Stanford der dritte Teil über den Tod (in dem es eigentlich über das Leben geht):

„Als ich 17 war, las ich irgendwo ein Zitat, das ungefähr so lautete: “Lebt man jeden Tag, als wär’s der letzte, liegt man eines Tages damit richtig.” Das ist hängen geblieben. Seitdem frage ich jeden Morgen mein Spiegelbild: “Wenn heute der letzte Tag meines Lebens ist, würde ich dann gern das tun, was ich heute tun werde?” Und wenn die Antwort an zu vielen Tagen hintereinander Nein lautet, weiß ich, dass ich etwas ändern muss.

Mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich bald sterbe, ist mein wichtigstes Hilfsmittel, um weitreichende Entscheidungen zu treffen. Fast alles – alle Erwartungen von außen, aller Stolz, alle Angst vor Peinlichkeit oder Versagen – das alles fällt im Angesicht des Todes einfach ab. Nur das, was wirklich zählt, bleibt. Sich daran zu erinnern, dass man eines Tages sterben wird, ist in meinen Augen der beste Weg, um nicht zu denken, man hätte etwas zu verlieren. Man ist bereits nackt. Es gibt keinen Grund, nicht dem Ruf des Herzens zu folgen. […] 

Niemand will sterben. Sogar die Menschen, die in den Himmel kommen wollen, wollen dafür nicht sterben. Und doch ist der Tod das Schicksal, das wir alle teilen. Niemand ist ihm jemals entronnen. Und so soll es auch sein: Denn der Tod ist wohl die mit Abstand beste Erfindung des Lebens. Er ist der Katalysator des Wandels. Er räumt das Alte weg, damit Platz für Neues geschaffen wird. 

Jetzt sind Sie das Neue. Doch eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft werden Sie das Alte sein und aus dem Weg geräumt werden. Bitte entschuldigen Sie, dass ich so dramatisch werde, aber es ist so. Ihre Zeit ist begrenzt, verschwenden Sie sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lassen Sie sich nicht von Dogmen gefangen nehmen – das würde bedeuten, mit dem zu leben, was andere Leute erdacht haben. Lassen Sie nicht zu, dass der Lärm, den die Meinungen anderer erzeugen, Ihre innere Stimme, die Stimme Ihres Herzens, Ihre Intuition überdröhnt.“

Wer kennt es nicht? „Carpe Diem“, „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“. Wahrlich keine neue Erkenntnis. Und auf einer intellektuellen Ebene wird dem jeder zustimmen. Doch im Alltag handeln nur wenige danach. Warum ist das so?

Weil unser Bewusstsein durch den Verstand und insbesondere das eigene Ego ständig abgelenkt wird. Weil wir Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht loslassen können und unsere Gedanken (ent)gleiten lassen. Weil wir uns Sorgen über die Zukunft machen oder unser Ego Zielen entgegen strebt, die in der Zukunft liegen und uns darüber das Leben im Jetzt vergessen lassen.

Persönlich denke ich, dass selbst ein Dalai Lama oder andere spirituelle Meister nicht immer im Jetzt leben. Wer danach strebt, müsste unentwegt darauf konzentriert sein – was wiederum Grenzen für andere Dinge setzen würde.

Insofern denke ich, dass es besser ist, ganz praktischen Regeln und Prinzipien zu folgen:

  • Verlasse keinen anderen Menschen im Streit.
  • Bringe dir eine Gewohnheit bei, dich und deine Ziele regelmäßig zu reflektieren (z.B. Tagebuch).
  • Akzeptiere niemals eine kurzfristige Lösung für ein langfristiges Problem.
  • Überprüfe, wer dir von deinen Mitmenschen besonders wichtig ist und nutze jede Gelegenheit, genau dies zu kommunizieren.
  • Dokumentiere deine täglichen Aktivitäten – und lerne daraus, wo du deine Zeit besser nutzen kannst.

Ich denke, wenn man das konsequent umsetzt, ist schon viel gewonnen. Und um damit genau jetzt zu starten nimmst du dir bitte jetzt ein Blatt Papier – ja, jetzt! Oder drucke dir diesen Beitrag aus – und schreibst auf,

  1. bei wem du dich noch entschuldigen musst
  2. was du wem schon immer sagen wolltest
  3. von welcher Aktivität du seit Jahren träumst.

1. und 2. kannst du sofort erledigen. Es gibt keinen besseren Moment als jetzt! Erledigt? Gut. Nicht? Dann bitte wieder von vorne lesen!

Hinter 3. musst du jetzt einen konkreten Termin (Tag/Monat/ Jahr) schreiben, wann du es umsetzt. Tu es einfach, ohne groß darüber nachzudenken. Fertig? Gut. Nun stellst du dir möglichst genau – mit vielen Details – vor, wie Punkt 3 Realität ist. Und wenn du das klar vor dir siehst, wenn du es fühlst, dann frage dich, wie du dahin gekommen bist und notierst dir die Schritte – auch wieder möglichst konkret. Fertig ist der Plan, den du jetzt beginnst, umzusetzen. Jetzt!

NUTZE DEN MOMENT!

Cookie Consent mit Real Cookie Banner