Dies wird ein sehr persönlicher Beitrag, aber das Sterben und der Tod sind integraler Teil unserer Welt und sich damit auseinanderzusetzen wichtig, um das Leben bestmöglich zu nutzen und zu gestalten. Ich schreibe dies als Würdigung und Wertschätzung meines Vaters, als emotionales Ventil und zur Reflektion sowie Dokumentation für mich selbst sowie auch als Impuls für all jene, die diese Zeilen lesen werden.
Mein Vater wurde 75 Jahre alt. Er hat stets betont, „Teil der Natur, Glied einer Kette zu sein“. Und er hat immer wieder gesagt, dass er keine Angst vor dem Tod habe, er sich jedoch ein möglichst schmerzfreies Sterben wünscht. So ist es gekommen. Ich war bei ihm als es geschah, sah ihm in die Augen und legte meine Hände sanft auf seine Schultern bis zum letzten Atemzug. Eine völlig neue Erfahrung, für die ich dankbar bin und die mir Ruhe gegeben hat.
Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde bei ihm eine fortgeschrittene chronisch myeloische Leukämie diagnostiziert. Abgesehen von den letzten Monaten war er recht fit, was ich durchaus auch auf die täglichen Runden mit seinem Hund zurückführe. Nichts hält den Körper mehr fit als regelmäßige Bewegung. Darauf achte ich bei mir und allen die mir wichtig sind. Mein Vater war ein „Schaffer“, fleißig und gestaltend, was ich immer als Vorbild begriffen habe und selbst lebe.
Er war wahrlich kein umgänglicher Mensch. Er hatte seinen eigenen Kopf, wenig Empathie, war extrem direkt. Nicht wenige Menschen hat er von den Kopf gestoßen, wenn nicht gar verletzt. Aber mein Vater war auch ehrlich, absolut zuverlässig, sparsam, zielstrebig, tatkräftig, hilfsbereit und zeigte eine selten vorzufindende Zivilcourage. Er mochte keine Gesellschaft, legte wenig Wert auf Beziehungen und war nicht bereit sich für andere zu „verbiegen“. Er war wer er war und achtete nur wenig auf die Gefühlswelt anderer Menschen. Möglicherweise hat dazu seine recht harte Kindheit beigetragen. Und mit „hart“ meine ich Erfahrungen, die wir heute nicht (mehr) kennen: Hunger, Entbehrung, teils brutale Erziehungsmethoden, generell viel mehr Gewalt zu dieser Zeit. Er musste für vieles kämpfen, was wir heute als selbstverständlich erachten. Und das hat er getan.
Ich bin stolz darauf, was er aus sich gemacht hat. Für ihn waren eine solide finanzielle Situation, ein eigenes Haus und eigenes Werken und Schaffen Lebensziele, die er allesamt erreicht hat. Er war beruflich KFZ-Mechaniker und imstande, eigene Lösungen wortwörtlich zu (er)schaffen. Dafür habe ich ihn stets bewundert. Mich, meinen Bruder sowie auch meinen Stiefbruder hat er indes von handwerklicher Arbeit versucht wegzuhalten: „Ihr sollt nicht wie ich die Knochen hinhalten… ihr sollt es besser haben als ich.“ Tatsächlich hatte mein Vater ein starkes Denken in Klassen und hat sich als „Arbeiter“ verstanden. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ich als „Büromensch“ heute teils mehr körperliche Beschwerden habe („Rücken“) als er im gleichen Alter und Handwerker heute auch teils besser verdienen und mehr Jobsicherheit haben als ein Bankkaufmann, was ich ja einstmals erlernt habe. Für mich habe ich daraus schon früh(er) abgeleitet, dass man als Elternteil die Zukunft nur sehr bedingt antizipieren kann und es daher besser ist, den eigenen Kindern „zeitlose“ Kompetenzen (z.B. Kommunikation) sowie ein konstruktives Mindset zu vermitteln und Vertrauen zu schenken in ihrem Lebensweg, ohne diesen selbst vorzeichnen zu wollen.
Mein Vater hat mich gelehrt, dass ein starker Wille Berge versetzen kann und Hartnäckigkeit und Fleiß sich immer auszahlen. Als ein Mensch mit großer Energie – auch Aggression – hat er Dinge erreicht, die man aus meiner Sicht mit förmlichen Anschreiben und höflich-zurückhaltender Ansprache niemals erreicht hätte. Auch das hat sich mir eingeprägt. Wer etwas möchte muss dafür kämpfen und dran bleiben!
Aufgrund der oben genannten Härte aus seiner Kindheit, sowie wohl auch einfach seiner Natur heraus, war mein Vater wenig imstande, gegenüber ihm nahe stehenden Menschen Gefühle auszudrücken oder zu zeigen. Das war indes nicht sein Problem. Und ich denke, dass er damit „Recht“ hatte. Denn wenn wir Dinge bzw. Verhaltensweisen von anderen erwarten und diese Personen dies nicht tun (können/wollen), dann ist es unser Problem. Und somit liegt die Lösung eben auch bei uns selbst.
Ich erinnere mich daran, dass ich in meiner Kindheit mit meinem Vater und Bruder nach London und Paris war. Mein Vater hat weder Englisch noch Französisch beherrscht. Und dennoch sind wir klar gekommen und hatten viel Spaß. Ich schreibe das deshalb, weil es zu dieser Zeit auch noch kein Internet oder Mobiltelefone gab. Dinge zu tun, auf die man nicht oder nur sehr marginal vorbereitet ist, erweitern den Horizont. Mein Vater hatte nie ein Problem fremde Menschen anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Auch das wird mir in Erinnerung bleiben.
Mein Vater liebte das Verhandeln. Nicht selten war es mir peinlich, wenn er selbst in Geschäften mit offensichtlichen Preisaushängen zu handeln begann. Indes: Als ich als Jugendlicher ein neues Zimmer wollte, fuhren wir in ein Möbelhaus. Mir gefiel eines der Jugendzimmer sehr gut und ich wollte es gerne haben. Mein Vater sagte dann zu Hause zu mir: „Wenn du es runtergehandelt bekommst, dann kaufen wir es.“ Also überwand ich meine Ängste, rief bei dem Möbelhaus an und verhandelte… Der Verkäufer war beeindruckt und gewährte tatsächlich einen markanten Rabatt. WAS FÜR EIN ERFOLG!! Ich war soo stolz und fühlte mich wie ein König! Diese Erfahrung hat lange nachgehallt und tut es auch bis heute noch. Die Lehre, die ich daraus zog: Preise sind immer verhandelbar. Es gibt nichts zu verschenken. Ein Handel ist legitim. Man muss überzeugen können. Und man kann und wird dabei „wachsen“, wenn man sich überwindet.
Was mein Vater ebenso liebte war der verbale Streit. Es betrachtete ein Streitgespräch als nichts negatives, sondern als Herausforderung. Für ihn war Streit häufig ein Selbstzweck. Dies entsprach und entspricht nicht meinem Naturell. Und doch: Wer dem Streit generell aus dem Weg geht, wird letztlich nur sehr eingeschränkt eigene Wünsche und Vorstellungen umsetzen können oder überhaupt Akzente setzen. Wie so oft ist es eine Frage des „Wie“.
Was mir am meisten fehlen wird ist die Geborgenheit. Mein Vater war wie oben beschrieben wenig stark darin Gefühle auszudrücken. Aber dass man ihm viel bedeutet konnte man aus seinem Handeln erschließen. Egal welches Problem ich hatte und welchen „Bock ich geschossen hatte“, mein Vater stand zu 100% hinter mir und war sofort zur Stelle. Ohne jeden Umschweif. Dieses Gefühl, jemanden zu haben der einen – bedingungslos – auffängt, hat mich stets gestärkt und ich tue mein Bestes, um Menschen die mir viel bedeuten genauso zur Seite zu stehen.
Mein Vater ist nun tot. In gewisser Hinsicht ist damit auch ein Teil von mir gestorben. Und ein Teil von ihm lebt in mir fort. Er fehlt mir und wird mir fehlen. Und doch ist dies der Gang der Dinge. Einst werde ich in seiner Rolle sein und meine Kinder und die Welt loslassen müssen. Bis dahin werde ich weiter das Leben genießen, lernen, wachsen, entdecken, nachdenken, gestalten, tatkräftig sein, Freude haben und bereiten, Impulse geben.
Zuletzt: Es gibt so etwas wie „Qualitätszeit“. Das ist die Zeit, die wir bei großer Gesundheit, Fitness und recht frei von Sorgen gemeinsam mit jemandem verbringen. Mir ist dies vor allem nun in den letzten zwei Jahren bewusst(er) geworden, weil die Pandemie mich einiger Chancen für gemeinsame Qualitätszeit und Erlebnisse mit meinem Vater (und anderen) „beraubt“ hat. Wenn man Dinge zusammen unternehmen möchte, dann sollte man dabei nicht nur das Erlebnis als solches anstreben, sondern auch den Kontext berücksichtigen und – so weit möglich – direkt planen (im Sinne von Umsetzen). Konkret: Die Lebensphase hat immensen Einfluss auf das Erlebnis an sich und die Bewertung und Wahrnehmung desselben. Alles hat seine Zeit. Wichtiges soll nicht in die unbestimmte Zukunft verlegt werden. Denn wir wissen nie, wie lange wir oder die Personen, mit denen wir ein Erlebnis teilen möchten, noch da sind und in welcher Verfassung wir und sie dann sind. Memento mori. Das Glück liegt im Jetzt und es ist an uns, die Prioritäten richtig zu setzen. Der richtige Moment dafür ist JETZT – dazu hier eine kleine Anleitung.
Im Foto sieht man mich mit meinem Vater rund einen Monat vor seinem Tod beim Spiel Eintracht Trier gegen FC Hertha Wiesbach. Die Eintracht gewann 3:1 und es war eine wichtige Voraussetzung für den Aufstieg in die Regionalliga, was meinem Vater sehr am Herzen lag. Es war unser letzter gemeinsamer Event. Und in gewisser Hinsicht eine Rückkehr zum Ursprung, da ich schon als Kind und Jugendlicher viele Spiele mit meinem Vater besucht habe. Ich dachte meinem Vater mit dem Spiel noch eine Freude zu bereiten. Tatsächlich war es anders herum: für ihn war es eine große Anstrengung, die er nur mir zu Liebe auf sich genommen hat. Danke, Papa! Für alles.
Lieber Marco, dein / euer Verlust tut mir leid.
Das was du schreibst ist bewundernswert und danke das du es mit anderen Menschen teilst. Es hätte deinen Vater glaube ich sehr gefreut!
Wie du ihn beschreibst, hätte ich mich bestimmt gut mit ihm verstanden.
Alles liebe für dich!
Andrea Brödel
Lieber Marco,
der Text zum Tod Deines Vaters hat mich tief bewegt. Einen Menschen mit all seinen Facetten anzunehmen, positives für sich zu entdecken und die Leistung als Vater zu würdigen finde ich vorbildlich. Mir geht es da ja ähnlich. Dein Vater wäre sicher stolz auf Dich und Deine Lieben profitieren von dem, was er Dir als Erkenntnisse hinterlassen hat.
Wie gut, dass Du seinen letzten Weg begleiten konntest.
Gan herzliche Grüße Marianne
Lieber Marco,
ich bin tief gerührt von Deinen ehrlichen Worten über Deinen Vater und schätze es sehr, dass Du Deine Gedanken mit uns geteilt hast.
Unser herzliches Beileid über Euren Verlust.
Liebe Grüße,
Susanna
[…] ist jetzt schon über ein Jahr her, seit dem mein Vater gestorben ist. Ich hätte niemals gedacht, wie sehr der Tod eines so nahe stehenden Menschen einen prägt und […]